Verzweiflung, Schmerz und Trauer klangen aus ihrer Stimme, als sie über ihren Vater Carlos sprach. Er, der sie immer unterstützt hatte, der sie auffing und für sie da war, als ihre Mutter sie im Stich liess.
Seit Kurzem ist er gestorben und sein Fehlen wiegt schwer in der noch jungen und kleinen Familie von Carolina. Sie hat ihre Tochter sehr früh bekommen - inzwischen ist sie vier, sehr aufgestellt und ein bisschen frech, wie Carolina mir sagt. Obwohl sie getrennt sind, helfe der Vater des Kindes, wo er kann; weit reicht es leider nicht, denn keiner von beiden hat eine feste Anstellung.
Für Carolina ist es eine Sache der Unmöglichkeit, eine Stelle neben ihrer Ausbildung zu finden. Dies schmerzt sie sehr, weil ihre Tochter demnächst eingeschult wird und sie befürchtet, dass sie Probleme haben wird, ihr eine Schuluniform und das Internet für ihren Fernunterricht zu finanzieren. Traurig sagte sie mir, dass sie sich schuldig darüber fühle, eine Ausbildung machen zu dürfen, während ihre Tochter womöglich nicht am Schulunterricht teilnehmen kann.
Manchmal laste so viel auf ihr, dass sie am liebsten aufgeben möchte, doch sie macht dennoch weiter - weil sie weiß, dass ihr Vater sie sieht. Er hat niemals aufgegeben und hatte immer ein grosses Herz; genau diese Eigenschaften will sie nun auch ihrer Tochter weitergeben.

Hiphop hören, Texte für Songs schreiben, Graffitis zeichnen und Breakdance zu tanzen, das ist Efraims ding und genauso ein Teil seiner Kultur, wie die traditionelleren Bräuche Ecuadors - "mi querido ecuador", wie er sagt.
Dass das Bild des aufgeschlossenen und auch ein wenig aufgedrehten Jungen, das ich bis dahin hatte, nicht sehr in die Tiefe ging, bemerkte ich als er meinem Unterricht fernblieb. Er hatte seine 14-jährige Schwester wegen Komplikationen ihrer Schwangerschaft ins Krankenhaus begleitet, weil der Vater des Kindes sie sitzenliess. Im Gespräch mit ihm fällt mir oft auf wie sehr er sich um seine Familie sorgt. Vor seiner Ausbildung war er oft auf der Strasse, wie er mir erzählt hatte, war in kleinkriminelle Angelegenheiten verwickelt und auch schon in der Entzugsklinik.
Damals - so sagte er mir - dachte er, dass eben diese Strasse ihm viel bieten würde und er sich dort entfalten könne. Es war ihm damals nicht bewusst, dass zur Erfüllung seiner Träume auch harte Arbeit einhergeht - ebendiese harte Arbeit, die er jetzt von Tag zu Tag und trotz Ungleichheit und Diskrimination erbringt, um seine Ziele zu verwirklichen.

Vicente, ein aufgestellter Mann, der immer für einen Spass zu haben war. Ein wundervolles Lachen hatte er; ein Lachen, dass das ganze Haus durchdrang. Ich sehe ihn vor mir, wie er nach dem Feierabend auf dem Sofa sitzt und durch die drückende Hitze bedingt - ohne T-Shirt mit seinem schon etwas grösseren Bauch exponiert - fern sieht.
Sein Sohn, ein angehender Ernährungsberater, hat ihm schon einen Ernährungsplan zusammengestellt, an den sich Vicente während meiner Zeit in Valencia nicht wirklich gehalten hat. Vicente - so hatte ich den Eindruck - ist eine Person, die sich an den kleinen Sachen erfreut. An einem Abend, während wir angefeuerte Gespräche hielten, sagte er zu mir "Las mejores esencias van en frascos pequeños" - was soviel bedeutet wie: In den kleinen Einmachgläsern ist die beste Essenz.

John, den ich meist in seinen Pullover eingemummelt und mit den grossen Kopfhörern aufgesetzt auf meinem Weg zur Arbeit sehe, wohnt nicht unweit von dort, wo ich unterrichte. Ihm gefällt das Quartier, in dem er lebt, denn es habe nicht viele Menschen und man werde dort auch nicht ausgeraubt. Manchmal gehe er auch nachts raus, um zu spazieren. Er mag das sehr, denn "die Strassen sind zu dieser Zeit leer, es ist ruhig und ich habe draussen meinen Frieden", wie er mir erzählt.
Seine Freizeit verbringt er besonders gerne damit, Videospiele zu spielen, denn er könne dabei gut abschalten und ein wenig aus der Realität flüchten. Schon bald will er sich eine Playstation kaufen, wie er mir mit Vorfreude in der Stimme erzählte.
Momentan arbeitet er noch in einer Bäckerei; im Vertrauen sagte er mir aber, dass es ihm dort nicht wirklich gefällt, weil es schlicht und einfach zu stressig sei. Er würde gerne etwas anderes finden, um sich unabhängig machen und eine eigene Wohnung haben zu können, in der er dann mit seiner Freundin wohnen will.
